Fehlinvestition Deutschlandticket
Erwiderung von Bettina M. Wiesmann auf den Gastbeitrag "Deutschlandticket muss besser werden" vom 30. April 2024 in der Frankfurter Rundschau
Die Fraktionen der Ampelkoalition feiern das vor etwas mehr als einem Jahr eingeführte Deutschlandticket (D-Ticket) als Erfolg. Woran sie diesen Erfolg festmachen, scheinen sie selbst nicht so genau zu wissen. Die Bundestagsabgeordneten Paula Piechotta und Stefan Gelbhaar von den Grünen stellen dies in ihrem Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau vom 30. April deutlich unter Beweis. Einerseits versuchen sie den Erfolg mit der Zahl der Nutzerinnen und Nutzer zu begründen. Dabei unterschlagen Piechotta und Gelbhaar, dass die aktuelle Nutzerzahl mit ca. 11 Millionen (noch) deutlich unter dem Zielwert von 15 Millionen liegt, den die Verbände der Verkehrsbranche, allen voran der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen VDV, als Maßstab des Erfolgs festgelegt haben.
Als weiteren Indikator für den Erfolg, ja als „zentrale Errungenschaft“ des D-Tickets preisen Piechotta und Gelbhaar „die finanzielle Entlastung von Bürgerinnen und Bürgern“. Darauf ist zu erwidern, dass das deutschlandweit gültige Ticket nicht die Bürgerinnen und Bürger entlastet, sondern die Nutzerinnen und Nutzer des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Sie sparen seit seiner Einführung jeden Monat Geld. Für „die Bürgerinnen und Bürger“ bringt das Ticket dagegen keine finanzielle Entlastung – im Gegenteil: Die Einnahmen, die den Verkehrsunternehmen durch die von Bund und Ländern angeordnete Vergünstigung des Tarifangebots entgehen, werden von der öffentlichen Hand ausgeglichen. Das D-Ticket wird somit letztlich von den Bürgerinnen und Bürgern aus Steuermitteln finanziert.
Wenn das D-Ticket dann auch noch als „eine wichtige Unterstützung, besonders für Personen geringen und mittleren Einkommens“ präsentiert und so zu einer Sozialleistung verklärt wird, zeigt sich einmal mehr die Ratlosigkeit der Ampel angesichts der gewaltigen Fehlinvestition, die das D-Ticket in Wahrheit ist. Sozialtickets gab es in vielen Städten zurecht schon vor früher. Über die Frage, wie teuer beziehungsweise günstig ein Sozialticket sein sollte, gehen die Meinungen auseinander. Ein „Jedermannticket“, das unabhängig von persönlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen genutzt werden kann, zu einer Sozialleistung umzudeuten, wird der Wirklichkeit aber gewiss nicht gerecht.
Die Erhebungen der Verkehrsunternehmen zeigen: Das D-Ticket wird vor allem von Pendlerinnern und Pendlern aus den Großstädten und Speckgürteln gekauft, die schon früher mit den Öffis unterwegs waren. Weniger als 10 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer sind seit Mai 2023 auf Bus und Bahn umgestiegen. Diesen Zugewinn an Fahrgästen lassen sich Bund und Länder einiges kosten. Der Bund stellte im Jahr 2023 rund 12,4 Milliarden Euro für den ÖPNV-Betrieb zur Verfügung. Satte 1,5 Milliarden Euro davon flossen in die Subvention des D-Tickets. Weitere 1,5 Mrd. kamen von den Ländern. Dieses Geld hätte an anderer Stelle sinnvoller ausgegeben werden können. Zum Beispiel zur Finanzierung eines zuverlässigeren, dichteren und besseren Verkehrsangebots. Während sich die Ampel für das D-Ticket lobt, findet im Schienen- und Busverkehr ein Angebotsabbau statt, wie wir ihn seit Jahren nicht erlebt haben. Städte und Landkreise in ganz Deutschland streichen Fahrpläne zusammen, weil sie Personal, Energie und Fahrzeuge nicht mehr finanzieren können. Was bringt den Menschen ein günstiges Ticket, wenn kein Bus fährt, in dem man es nutzen kann?
Auch langfristig wird das D-Ticket eine schwere Bürde für den ÖPNV in Deutschland sein. Denn der politisch gesetzte Einheitstarif nimmt Verkehrsunternehmen und Verbünden die Möglichkeit, durch Preisgestaltung Nachfrage zu generieren, Auslastung zu steuern und Angebotsentwicklung zu refinanzieren. Aus Marktwirtschaft wird Planwirtschaft.
Paula Piechotta und Stefan Gelbhaar behaupten, das D-Ticket habe „Deutschland zum Mobilitätsvorreiter in Europa gemacht“. Die bittere Wahrheit ist: hätte sich die Ampel einmal im Ausland umgesehen, hätte sie lernen können, wie es richtig geht. In unseren Nachbarländern Schweiz und Österreich zum Beispiel gehen der Ausbau des Verkehrsangebots und die Schaffung attraktiver Tarifprodukte Hand in Hand. Die Ampel dagegen berauscht sich am vermeintlichen Erfolg eines Tarifprodukts und verpasst dabei einmal mehr den Anschluss an die Realität.